Mittwoch, 14. Juli 2010

Zwergerbsen im Gleichgewicht

Die BR-Sendung "IQ - Wissenschaft und Forschung" sollte sich vielleicht in "ÄääÖhh - Anekdoten und Polemik" umbenennen. Dieser Eindruck bleibt nach dem Hören des Beitrags "Homöopathie - Wunschdenken oder Wissenschaft" vom 29.06.2010:

http://www.br-online.de/bayern2/iq-wissenschaft-und-forschung/iq-iq-homoeopathie-semmler-ID1276588429614.xml

Da werden alle stilistischen Register gezogen, um uns von der Wirkung von Homöopathie auf Mensch, Kind und Erbse zu überzeugen. Ich spare mir weitere Unterhaltungsworte und schließe mit den Worten des kleinen Patienten Jens: das macht mir "Angst vor Alles". Anbei mein Brief an den Bayerischen Rundfunk.

--------------

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich möchte Ihnen ein Feedback geben zu der IQ-Sendung "Homöopathie" vom 29.06.2010, die ich heute als Podcast gehört habe.

Den aktuellen SPIEGEL-Titel zum Thema Homöopathie haben Sie sicherlich zur Kenntnis genommen. Wie kommt es, dass Ihre eigene Recherche so anders ausgefallen ist? Hört man den IQ-Beitrag, so kommt man zu der Überzeugung, dass Sie nicht wissenschaftlich korrekt berichten WOLLEN. Das finde ich schade und für einen öffentlich-rechtlichen Sender auch sehr bedenklich.

Es fällt zunächst der Stil des Beitrags auf. Emotionale persönliche Einzelberichte von Homöopathie-Anhängern unterlegen Sie mit harmonischer Klaviermusik, wissenschaftliche Texte lassen Sie durch Schauspieler in arroganter Intonation vorlesen. O-Töne von Befürwortern nehmen kein Ende, Kritiker der Homöopathie sprechen in Ihrem Beitrag nicht. Wieso verlassen Sie hier die Neutralität?

Dann die verwendete Sprache: Sie formulieren als Kommentar zur großen Meta-Analyse z.B. "bestenfalls kommt er (der Schulmediziner) zu dem Schluss, Homöopathie SEI ein Placebo". Ein paar Sätze später dann der Indikativ, als der Mitarbeiter einer Lobbygruppe seine Neuuntersuchung der Meta-Analyse vortragen darf und Sie kommentieren "das heißt, in der Studie WURDEN Äpfel mit Birnen verglichen". Genauso: "Auf diese Neuauswertung HAT Prof. Eggert nie reagiert, erzählt der Statistiker Lydke". Weiter geht's wieder im Konjunktiv: "Wenn von Kritikerseite immer wieder behauptet wird, es GÄBE keine aussagekräftigen Studien zur Homöopathie, dann ist das falsch." Fällt Ihnen etwas auf? Wieso verwenden Sie diese suggestiven Mittel?

Ausserdem ist auffällig, dass Sie unverblümt die Marketing-Füllworte der Homöopathie-Lobby aufgreifen und schwammige Begriffe wie die Abgrenzung zur "Schulmedizin", aber auch die beliebten Phrasen "individuell abgestimmt", "komplexes System", "geprüfte Substanzen", "ins Gleichgewicht bringen" in Fülle verwenden. Höre ich noch eine Wissenschafts- oder eine Werbesendung, wenn folgender Satz ertönt: "Damit würde Homöopathie ähnlich wie der menschliche Organismus funktionieren, der ja auch versucht, immer wieder ins Gleichgewicht zu kommen."? Dieser Satz klingt nach fragwürdigem Verkaufsfernsehen, das keine inhaltlich belastbare Aussagen macht - mal davon abgesehen, dass einer naturwissenschaftlich gebildeten Redaktion dieser Satz als Humbug auffallen müsste.

Im Grunde sagen Sie es ja selber in Ihrer Sendung: hochkarätige wissenschaftliche Zeitschriften wie Lancet beschreiben klar das Ende der Homöopathie, aber anekdotische Evidenz, persönliche Erfahrungen und gläubige Anhänger stehen dahinter. Von welcher Interessengruppe wollen Sie sich denn als nächstes überreden lassen, die Zeit einer Wissenschaftssendung zu stehlen?

Mit freundlichen Grüßen,
-------------

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen